Ein strahlend blaues Firmament und eine weiße Schneedecke sind spektakulär. Was mich aber in eine wohlige Stimmung versetzt, ist der graue, Schnee versprechende, Winterhimmel. Der macht mich nicht trüb, sondern heiter.
Nebst den Äußerlichkeiten ist der Herbst – wie jede andere Jahreszeit – auch an seinem Odeur zu erkennen. Ich mag diese Vielschichtigkeit aus Vermoderndem und Getrocknetem. Da gibt es die prächtigen Tage mit blauem Himmel und dem in warmen Tönen leuchtenden Blättermeer; gleich einem nochmals geschlagenen Pfauenrad. Und da gibt es die Nebelversunkenen, Wolkenverhangenen, Dunklen mit der feuchten, schon frischen Luft, dem frühen Abend, die einem zu verstehen geben, dass nun Rückzug angesagt ist. Gerne tut man es der Natur gleich. Bald kommen die Fröste und der Schnee, die eisige Daunendecke. Ab jetzt verwandelt sich meine Wohnung in eine Höhle, einen Ort, der mir Schutz und Wärme bietet. Der Bär in mir mahnt zum Schlaf.
Hoch oben am Berg. Verlassen, dem Verfall anheimgegeben.
Ich kann nichts ändern, aber ich tu mir schwer, dies so zu nehmen, wie es ist.
Liebe Freunde zeigten mir bei einer Wanderung dieses Herzstück. Ich weiß nichts über den Besitzer und seine Beziehung zu ihm. Diese könnte recht kompliziert sein. Eine traurige Kindheit vielleicht oder einfach keine guten Erinnerungen an das Leben in ihm. Vielleicht hasst er diesen Ort sogar und straft das Haus für das Weh, das er darinnen erlitten hat.
Ich wiederum, als Unbeteiligte, habe weh, es so zu sehen. Am liebsten möchte ich rundherum mähen, die Türen und Fenster öffnen und hören, wie das Haus einen tiefen Atemzug tut. Bildlich stelle ich mir vor, wie die Räume und Mauern sich an dem frischen, durchziehenden Luftstrom laben und das ganze Gebäude sich freut, dass die Einsamkeit ein Ende hat.
Schönes Handwerk hat mich schon immer berührt und meine Hochachtung den Schaffenden gegenüber ist groß. Es ist aber auch der Umstand, dass dieses Haus, wie die vielen anderen Häuser im selben traurigen Zustand, jahrelang, jahrzehntelang ein Heim für Menschen war. Ich fühle Respekt, Verantwortung und auch Pflicht, mehr aber noch ... einfach Liebe.
Ein wichtiges Buch in meinem Leben sind "Die vier Versprechen" des Don Miguel Ruiz. Es ist auch möglich, dass ich hier bereits einmal darüber gesprochen habe. Eines von diesen vier Versprechen, das vierte, lautet: Tun Sie immer Ihr Bestmögliches. Weiter heißt es: "Wenn Sie krank oder müde sind, ist Ihr Bestes nicht so gut, wie wenn Sie sich gesund und voller Energie fühlen. Doch wenn Sie in jedem Fall einfach das Bestmögliche tun, werden Sie niemals zum Opfer von Schuldgefühlen, Frustration und Reue." Das ist ein hohes Ziel und bis dahin, dauert es wohl sehr lange. Alle vier Versprechen (die man sich selbst gegenüber gibt) haben mit allgegenwärtiger Bewußtheit, Achtsamkeit, mit „im Jetzt sein“ zu tun. Für mich heißt das, nicht automatisch zu agieren, sondern sich stets hinterfragend. Das ist anstrengend und es kann das Gefühl der ständigen Selbstkontrolle aufkommen und mit ihr, der Verlust der Freiheit, Spontaneität. Und trotzdem erscheint es mir wichtig. Es gibt unzählige Augenblicke in meinem Leben, wo ich mir wünschte, anders – wohl überlegt – gehandelt zu haben. Sei es bei Begegnungen, Tätigkeiten, Arbeiten.
Für mich geht es um Selbstformung; vielleicht vergleichbar mit dem Polieren eines Rohdiamanten. Sich selbst zum Strahlen zu bringen.
Dieses vierte Versprechen läßt sich überall anwenden. Und sei es beim Kloputzen, beim Abwaschen … oder was auch immer. Bei der Sache sein und ihren Sinn anerkennen. So wird man zwar nicht jede Arbeit, die einem lästig erscheint, gleich lieben, aber sie wird erträglicher. Für mich geht es nicht um Perfektionismus. Vielmehr um Respekt vor allem und jedem, vor sich selbst, und um Dankbarkeit.
Ich habe letztens eine Wanderung gemacht. Dabei sind wahrscheinlich hunderte Kleinstlebewesen unter meinen Füßen zu Tode gekommen. Das mache ich natürlich nicht absichtlich, aber es ist unweigerlich eine Folge meines Willens, auf den Berg zu gehen. Zuhause zu bleiben ist auch keine Option und zu gehen, ohne dass gar niemand Schaden nimmt – auch wenn ich mein Bestmöglichstes gebe! – ist ein Ding der Unmöglichkeit. Mir dessen bewußt zu sein, dass mein Wunsch Opfer fordert, ist zumindest eine kleine Andeutung einer Hochachtung auch vor Kleinstlebewesen.
Wir Alten haben eine wichtige Aufgabe.
Es gilt den jungen Menschen zu zeigen, dass das Leben ab einer bestimmten Datumsgrenze nicht endet. Dass es Freude, Lust, Leidenschaft, Hingabe auch danach noch gibt. Dass es nicht notwendig ist, sich all dies zu vergällen aus Angst davor, sich lächerlich zu machen. Ich sterbe lieber lustig beim verrückten Tanzen als griesgrämig hinter dem Fernseher.
Und schämen tue ich mich diesbezüglich schon lange nicht mehr.
Unsere Bauchtanzgruppe "Crème Caramel" beim Hexenfest auf der Burg Oberkapfenberg am 30. April 2023.
Foto: Liane Illmayer
Das Dorf ist näher am Leben, weil es näher am Sterben ist.
Wenn hier einer stirbt, so nicht anonym, wie in der Stadt. Mit ziemlicher Sicherheit kennt man denjenigen. Vielleicht gut, vielleichter weniger gut, aber man weiß, von wem die Rede ist. Läutet die Totenglocke, hört man die Feuerwehr oder die Rettung, fragt man sich: wer ist's, wen trifft's?
Dieser Umstand mag einerseits erschrecken, auf der anderen Seite sehe ich jedoch die große Chance, durch das unmittelbare wiederkehrende Erleben der Endlichkeit, das uns gegebene Leben, bewußter wahrzunehmen und zu gestalten.
Meine Liebe zu Männern kam spät. Da gab es die erotische Anziehung, aber die wahre Herzensverbindung noch nicht. Sie war versperrt durch den Schranken der Erwartungen. Erwartungen, die kein Mann erfüllte. Das Problem war, dass ich als Frau von mir selbst ausging. Ich wünschte mir, dass der Mann so empfindet wie ich, dass er fühlt und sieht und denkt wie ich. Ich fühlte mich unverstanden, ungesehen und in der Folge ungeliebt. Der Ritter auf dem weißen Ross, der mich vor dem Drachen rettet, ist nie erschienen.
Das war noch zu einer Zeit, als ich glaubte, Frauen und Männer wären gleich. Als ich dachte, Unterschiede zwischen den Geschlechtern wären ausschließlich anerzogen. Das Miterleben des Aufwachsens von meinem ersten Enkelsohn, weckte Zweifel an meiner bisherigen Sichtweise. Da war ein anderes Spielverhalten, eine andere Energie, als ich sie von meinen Töchtern kannte. Und da begann für mich das langsame Erkennen. Männer nehmen anders wahr, sie denken anders, haben andere Lösungsansätze.
Heute schätze ich die männliche Energie sehr. Heute sehe ich auch ihre Ritterlichkeit, die mir in meiner Unwissenheit und Verblendung verborgen geblieben ist. Sie zeigt sich anders, weniger plakativ. Und was ich auch sehe, ist, dass man den Männern ihr, sich von den Frauen unterscheidendes, eben anderes Wesen abtrainieren will. Ich sehe es als Folge von einem extremen Feminismus, dem ich auch einmal zugestimmt habe.
Dass sich kein Geschlecht über das andere stellt, ist für mich die richtige Wegrichtung. Das ist der Pfad auf dem wir uns – Mann und Frau – in Liebe begegnen können. Die Unterschiede zwischen uns sind doch letztendlich das, was uns gegenseitig anziehend macht. In unserer Verschiedenartigkeit ergänzen wir uns zum Rund und wenn wir das zulassen, lieben wir wahrhaftig. Voraussetzung dafür ist, dass wir nicht steckenbleiben in Mustern und Rollen.