Papa hatte sehr spät seinen Führerschein gemacht und das Autofahren ist für ihn immer etwas Besonderes geblieben, etwas Aufregendes. Als Mädchen war ich des öfteren mit meinen Eltern wandern. Das taten wir erst, als es das Auto gab und wir damit an unseren Wanderort gelangen konnten. Mein Vater war nicht religiös, aber zu Beginn einer längeren Autofahrt sagte er immer "In Gott's Nåm'". So starteten wir unsere Ausflüge. Mit einer guten Jause im Gepäck, die meine Mutter gerichtet hatte. Ich denke wirklich gerne daran zurück. Nach 50 Jahren war ich nun vor Kurzem zum ersten Mal wieder in der Dullwitz, einem Tal nahe Seewiesen, das Ausgangspunkt etlicher Wanderungen war. Mich berührte es tief, diesen Weg nochmals zu gehen. Ich hatte ihn ein wenig anders in Erinnerung, aber meine Eltern waren ganz nah bei mir.


Es bewahrheitet sich immer wieder für mich. Beim Wandern oder Spazierengehen verflüchtigt sich der innere Nebel. Und es ist egal, bei welchem Wetter ich unterwegs bin. Es wird ruhiger, einfacher, klarer in mir. Auch wenn Probleme nicht gelöst werden, so erscheinen sie beim Nachhausekommen doch nicht mehr so gewaltig. Das Rausgehen ist meine Medizin.


Vom Alleinsein

 

Seit 4 Jahren lebe ich allein. Ich kann gut mit mir allein sein. Ich weiß mir immer etwas zu tun, Langeweile kenne ich nicht; nur ab und zu habe ich keine Lust, etwas von den vielen Dingen, die mir im Kopf herumschwirren, anzupacken. Ich bin sehr gerne beschäftigt, habe gerne zu tun. Da stört dann dieses Gefühl. Ich tue dann zwar trotzdem etwas, aber mit wenig Freude.

 

Ich bin schon lange der Meinung, dass man nur dann ein guter Partner sein kann, wenn man auch das Alleinsein nicht nur erträgt, sondern sich auch in ihm wohl fühlt. Ich habe also (meiner Meinung nach) die Voraussetzung, ein guter Partner zu sein. Aber, will ich noch ein Partner sein?

Ich liebe meine Unabhängigkeit, meine Selbständigkeit. Ich kann allein bestimmen, was ich esse, was ich unternehme, was ich tue. Das ist alles sehr schön ... aber ...

 

Mir fehlt die Zweisamkeit, mir fehlt ein warmer Körper an meiner Seite, mir fehlt die Berührung auf vielen Ebenen, mir fehlt der Mensch, mit dem ich mich spontan austauschen kann. Dem ich erzählen kann, was mich begeistert, was mich empört. Und der mir ein Korrektiv ist. Verwildere ich allein? Nein, wohl kaum. Das wäre wieder übertrieben, denn ich versuche, meine Tage zu reflektieren. Ich hatte viel gemein mit meinem verstorbenen Mann, aber in manchen Dingen waren wir auch gänzlich verschiedener Meinung. Diese Diskussionen, so nervig sie waren, haben mich auch dazu gezwungen, meine Anschauungen zu hinterfragen. Manchmal haben sie sich dadurch verfestigt und hin und wieder haben sich auch Zweifel aufgetan. Das fehlt mir, wie die vielen warmherzigen, wärmstherzigen Begegnungen, die Selbstverständlichkeiten, die Liebe.

Nun, ich glaube nicht an die einzige, die wahre Liebe. Es gibt so viele Lieben und alle sind wahr. Mein Mann hat so viele Frauen vor mir aufrichtig geliebt. Das macht mich nicht eifersüchtig. Ich liebte auch schon viele Männer und liebe manche noch. Und ich bin auch in der Lage, wieder neu zu lieben. Die Liebe hat viele Gesichter, sie zählen oder beschreiben zu wollen, ist unmöglich. 

 

Es gibt tolle Frauenfreundschaften, die mir sehr viel bedeuten. Ich schmälere deren Wert nicht, wenn ich Sehnsucht nach dem anderen Geschlecht habe. Ich finde es einfach wunderbar, dass es Frauen und Männer gibt!

 

Ich glaube nicht, dass ich mir in Zukunft ständig jemand an meine Seite wünschte. 

Aber so ganz alleine bis an mein Lebensende?

Das wäre doch auch traurig!

Oder nicht?

Ach, ich weiß es nicht ...


Und immer wieder ist das Seelenleben spannend. Heute lese ich in meiner Morgenlektüre vom "Pakt des Schweigens". Das Buch: "Auf der Couch" vom argentinischen Psychoanalytiker Gabriel Rolón. Dieser Pakt des Schweigens, aus Schmerz oder Scham geschlossen, ist ein stilles Übereinkommen z.B. in Familienverbänden. Das heißt, dass über manche Themen, die Familie betreffend, nicht gesprochen wird. Meist geht es um Tod oder Sexualität. In meiner Herkunftsfamilie gab es einen solchen Pakt. Der ging soweit, dass meine Eltern gar nicht zu sagen brauchten, "Das geht dich nichts an!"; ich kam nicht einmal auf die Idee nachzufragen. Heute gibt es niemanden mehr, den ich fragen könnte. Auch wenn über bestimmte Familienereignisse oder -betroffenheiten nicht geredet wird, so wirken sie dennoch. Sie sind da, liegen aber verborgen, sind nicht greifbar. Richten Schaden an. Diese Pakte zu brechen, gilt es.


Mieses Karma oder

Die Geschichte einer Mörderin oder

Selbsterkennung oder

Das Leben ist nicht nur, sondern auch ...

 

In meinem nächsten Leben werde ich gewiss als Kapuzinerschnecke geboren. Ich habe Unzählige dieser Spezies schon ins Jenseits befördert. Ich liebe meinen Gemüsegarten und die Arbeit darin ist oftmals mühselig. Kreuz und Ausdauer sind nicht mehr so wie einstens und wenn dann endlich die Pflänzchen aufrecht in ihren Beeten stehen, kann es vorkommen, dass sie nächtens durch die Gefräßigen, wenn schon nicht weggefressen, so zumindest angeknabbert werden. Das macht mich aggressiv. Und es kommt eine dunkle Seite in mir zum Vorschein. Mit wahrer Lust ziehe ich dann durch die Gegend und sammle sie ein. Wenn ich ganz böse bin, zähle ich mit. Jede tote Schnecke sind 400 Eier weniger. Das sind bei einem Kontrollgang mindestens (!!!) 40.000 Eier!

Völlig unberührt lässt es mich nicht und zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass es mir viel lieber wäre, wenn es dieses "Problem" gar nicht gäbe!

 

Frühmorgens zieht  – je nach Wetterlage – der liebliche Duft unserer Bäckerei durch den Ort und umweht beim Einsammeln auch meine Mördernase. So nah beisammen sind das Schöne und das Hässliche. In und um uns.

 


Nein, ich möchte nicht nochmals jung sein. Ich möchte auch nicht „auf jung“ machen. Ich möchte lebendig sein. Lebendig in einem alternden Körper. Jedes Trachten nach einem Aufhalten, erscheint mir als ein sinnloses Unterfangen und die Erkenntnis der Unvermeidbarkeit würde mich irgendwann so und so ereilen. Ich sage nicht, dass mich diese Veränderung unberührt lässt. Sie macht mich auch traurig, manchmal sehr traurig. Versinken aber will ich in dieser Trauer nicht.

 

 

Ich möchte, dass mein Herz weich und mein Verstand wach bleibt. Und ich will diesem Körper, der mich mein ganzes Leben gut begleitet hat, der es mir ermöglich hat, drei Kindlein zu gebären, den verdienten Respekt auch im Zuschreiten auf das Ende entgegenbringen.


Ich möchte nicht nochmals jung sein, aber was ich sehr gerne tun würde wäre, wie ein Geist, neben dem Baby, dem Kleinkind, dem Kind, der Jugendlichen, der jungen Frau Christine zu schweben und nur zu schauen und wahrzunehmen; nicht einzugreifen. Und vielleicht auch aus Distanz zu lesen, was sich innen drinnen abgespielt hat. Nicht nochmals ich selbst sein, sondern ein neutraler Beobachter. 


Angeblich überleben Vorsätze für das neue Jahr nicht lange. Ich habe die meinen kurz und prägnant formuliert, sodass sie sich hoffentlich nicht allzu schnell verflüchtigen.

 

RUH'N IM TUN

und 

VERBORGENES AUSPACKEN

 

Den ersten muss man nicht lange erklären. Und der zweite ist eine lebenslange Aufgabe. Zumindest für mich. Ich bin schon froh zu begreifen, dass da noch etwas ist, was an die Oberfläche sollte oder, um mit dem Bild zu sprechen, was aufgetaut gehört.